Weite und Tiefe
Die Malerei von Andrea Küster
Seit mehr als 20 Jahren malt Andrea Küster Bilder, in denen Blumen als Motiv eine wesentliche Rolle spielen. Als Malerei müssen ihre Bilder die rein illustrative Ebene dieses Motivs überbieten und Erfahrungsbereiche ansprechen, die über den bloßen Informationsgehalt eines schönen Motivs hinausgehen und tiefere Schichten erreichen.
Darüber hinaus stehen sie in einer ästhetischen Tradition, innerhalb derer ihre Eigenständigkeit ebenso wie ihre Bezugspunkte reflektiert werden müssen. Die Bilder von Andrea Küster sind großformatig, ihre Motive in extremer Nahsicht wiedergegeben. Unmittelbar ist zu erkennen, dass sie mit der Hand gemalt sind, allerdings ohne eine expressive Handschrift in den Vordergrund zu rücken.
Mit einem Format von 280 x 600 cm ist „Anthurien“ aus dem Jahr 2012 das größte Bild der Ausstellung in Oberhausen, und es ist sehr gut geeignet, einige der Grundprinzipien von Andrea Küsters Malerei zu verdeutlichen.
Zur Nahsicht der Motive kommt ein Gefühl überwältigender Orientierungslosigkeit bei gleichzeitiger körperlich spürbarer Nähe hinzu, in dem sich extreme Nähe und distanzstiftende Kühle gegenseitig in Schach halten. Es gibt zahlreiche rote, gelbe, weiße und grüne Blüten und Blätter zu sehen, die das gesamte Bildformat derart ausfüllen, dass man nicht unterscheiden kann, wo oben, unten, links oder rechts ist. Vorherrschend sind intensive Farbeindrücke, die nicht allein flächig, sondern auch stark räumlich wirken und einzelne Felder oder Spalten des Bildes in die Tiefe hinein öffnen. Der Eindruck erinnert an das Gefühl, durch einen dicht belaubten Wald zu gehen und Gestrüpp und Äste zu Seite drücken zu müssen, um vorwärts zu kommen – allerdings kommt noch hinzu, dass das Gefühl für einen sicheren Standort fehlt und man eher virtuell durch das Bild zu schweben scheint. Die starken Farb- und Raumeindrücke dieses Bildes lassen sich in einer zwangsläufig verkleinerten Reproduktion nicht einlösen – sie stellen sich nur vor dem Original ein.
Damit erfüllt dieses Bild wie auch die anderen Gemälde von Andrea Küster eine essentielle Grundforderung an die Malerei. Sie erzeugt eine Wirkung, die sich nicht übersetzen lässt, die als solche unverwechselbar und existenziell ist. Andrea Küsters bildnerische Kompositionen besitzen die richtige Mischung aus sinnlichem Reichtum und künstlerischer Distanzierung, um als Kunstwerke einprägsam und überzeugend zu sein.
Wenn wir die Analyse von „Anthurien“ fortsetzen und dazu etwas zurücktreten, um die Kompositionsweise dieses Bildes zu verstehen, können wir feststellen, wie die Künstlerin vorgegangen ist. Ihr Bild besteht aus mehreren – insgesamt vier – Einzelbildern, in denen das Motiv der Anthurienblüten unterschiedlich zusammengesetzt und gegliedert ist. Es stellen sich Effekte von Wiederholung und Spiegelung ein, teilweise invertiert, wodurch der kompositorische Gesamtzusammenhang des Bildes in dynamische Spannung versetzt wird. Die Komposition insgesamt hat keine Mitte und keine hierarchische Einteilung. Es bleibt unklar, ob es sich nur um verschiedene Blüten handelt oder ob teilweise dieselbe Blüte mehrfach zu sehen ist. Diese produktive Verunklärung trägt dazu bei, das Bild gleichzeitig abstrakter und wirklicher zu machen und damit seine Präsenz zu steigern.
Blumen haben Maler schon seit sehr langer Zeit als geeignet Metaphern zur Veranschaulichung der Paradoxien von Momenthaftigkeit und Dauer gedient, und auch Andrea Küsters Blumenbilder lassen sich in diese Tradition einreihen. Gemalte Blüten welken nicht.
In der Malerei von Andrea Küster lassen sich jedoch noch weitere Verästelungen finden. Sie hat viele ihrer früheren Bilder und Zeichnungen zu Bestandteilen neuer Collagen gemacht und unterstreicht damit zum einen ihre fortwährende künstlerische Distanzierung vom Urmotiv, ohne diesen Bezug jedoch völlig zu negieren. Ihr malerisches Verfahren ignoriert den saisonal bestimmten Verlauf von Blühen und Vergehen, aber das unterscheidet sich ja nicht von der Verfügbarkeit blühender Pflanzen in unserer Zeit dank einer Pflanzenindustrie, die ihre Fertigung in aller Welt sowie durch künstlich erzeugte Jahreszeiten in Gewächshauskulturen stets gleichbleibend gewährleistet. Mit ihrem eigenen Material geht Andrea Küster genauso um, es ist immer verfügbar und lässt sich in neue Zusammenhänge bringen, auch weil ihre nahsichtig wiedergegebenen Blüten frisch bleiben, gleich wie alt sie sind. In einigen Bildern wie der großformatigen Arbeit „Lilie / Papier“ von 2016 stellt Andrea Küster auch Blumen in Vasen vor Augen und verweist auf die zivilisatorische Tätigkeit der Präsentation von Blumen.
Der Naturbezug von Andrea Küsters Gemälden ist mehrschichtig, ihre Werke sind keinesfalls herkömmliche Stillleben und auch keine exakt historisch oder kulturell determinierbaren Gegenstände. Ihre Blumen sind so weit verallgemeinert, dass ihre Wirkung vollständig im Hier und Jetzt aufgeht – jedes Mal, ob vor zehn Jahren, heute oder in zehn Jahren.
In der Geschichte der Malerei gibt es Vorläufer. So hat seit Mitte der 1910er-Jahre die amerikanische Malerin Georgia O’Keeffe unter dem Eindruck der Fotografien von Paul Strand Blumen in extremer Nahsicht und aus ungewöhnlichen Perspektiven gemalt, wobei sie meist eine einzelne Blüte oder zwei in Augenschein nahm und diese in ihrem Bild monumentalisierte. In den Bildern von Andrea Küster bilden Blüten einen motivischen Ausgangspunkt, der durch vielfältige Verfahren der Spiegelung, Umkehrung und Wiederholung zugleich betont und auf inhaltlicher Ebene relativiert wird. In der Malerei von Georgia O’Keeffe wurde die Ikonografie der Blumen schon von dem Fotografen Alfred Stieglitz, ihrem Mentor und Lebensgefährten, als Sinnbild weiblicher Ästhetik propagiert, was jedoch längst als Klischee männlichen Blicks entlarvt wurde. Festzuhalten bleibt allerdings in jedem Fall der Unterschied der inhaltlichen Relevanz des Motivs bei O’Keeffe und Küster.
Abzusetzen ist Andrea Küsters Bildvorstellung auch von den großformatigen Bildern eines Alex Katz, der in einer Umdeutung des Pollock’schen All Over seine Bildkomposition auf stark reduzierte Motive gründet, die er in einer exakt geplanten Choreographie in einem Zug im großen Format malt, wobei u. a. auch Blumenbilder entstehen. Die Gemälde von Andrea Küster besitzen wie jene von Alex Katz eine Affinität zur Vorstellung eines unhierarchischen All Over, allerdings ist dies anders als bei Katz im Falle von Andrea Küster nicht auf einem zusammenhängenden visuellen Eindruck gegründet, sondern synthetisch aus einer Vielzahl von Einzelaspekten zusammengesetzt und außerdem wesentlich von einer räumlichen Wirkung bestimmt, die ihre Bilder prinzipiell von Katz trennt.
Andrea Küsters Blumenbilder sind ein einzigartiger Beitrag zur Tradition der Blumenmalerei.
Kay Heymer
Weite und Tiefe
Die Malerei von Andrea Küster
Seit mehr als 20 Jahren malt Andrea Küster Bilder, in denen Blumen als Motiv eine wesentliche Rolle spielen. Als Malerei müssen ihre Bilder die rein illustrative Ebene dieses Motivs überbieten und Erfahrungsbereiche ansprechen, die über den bloßen Informationsgehalt eines schönen Motivs hinausgehen und tiefere Schichten erreichen.
Darüber hinaus stehen sie in einer ästhetischen Tradition, innerhalb derer ihre Eigenständigkeit ebenso wie ihre Bezugspunkte reflektiert werden müssen. Die Bilder von Andrea Küster sind großformatig, ihre Motive in extremer Nahsicht wiedergegeben. Unmittelbar ist zu erkennen, dass sie mit der Hand gemalt sind, allerdings ohne eine expressive Handschrift in den Vordergrund zu rücken.
Mit einem Format von 280 x 600 cm ist „Anthurien“ aus dem Jahr 2012 das größte Bild der Ausstellung in Oberhausen, und es ist sehr gut geeignet, einige der Grundprinzipien von Andrea Küsters Malerei zu verdeutlichen.
Zur Nahsicht der Motive kommt ein Gefühl überwältigender Orientierungslosigkeit bei gleichzeitiger körperlich spürbarer Nähe hinzu, in dem sich extreme Nähe und distanzstiftende Kühle gegenseitig in Schach halten. Es gibt zahlreiche rote, gelbe, weiße und grüne Blüten und Blätter zu sehen, die das gesamte Bildformat derart ausfüllen, dass man nicht unterscheiden kann, wo oben, unten, links oder rechts ist. Vorherrschend sind intensive Farbeindrücke, die nicht allein flächig, sondern auch stark räumlich wirken und einzelne Felder oder Spalten des Bildes in die Tiefe hinein öffnen. Der Eindruck erinnert an das Gefühl, durch einen dicht belaubten Wald zu gehen und Gestrüpp und Äste zu Seite drücken zu müssen, um vorwärts zu kommen – allerdings kommt noch hinzu, dass das Gefühl für einen sicheren Standort fehlt und man eher virtuell durch das Bild zu schweben scheint. Die starken Farb- und Raumeindrücke dieses Bildes lassen sich in einer zwangsläufig verkleinerten Reproduktion nicht einlösen – sie stellen sich nur vor dem Original ein.
Damit erfüllt dieses Bild wie auch die anderen Gemälde von Andrea Küster eine essentielle Grundforderung an die Malerei. Sie erzeugt eine Wirkung, die sich nicht übersetzen lässt, die als solche unverwechselbar und existenziell ist. Andrea Küsters bildnerische Kompositionen besitzen die richtige Mischung aus sinnlichem Reichtum und künstlerischer Distanzierung, um als Kunstwerke einprägsam und überzeugend zu sein.
Wenn wir die Analyse von „Anthurien“ fortsetzen und dazu etwas zurücktreten, um die Kompositionsweise dieses Bildes zu verstehen, können wir feststellen, wie die Künstlerin vorgegangen ist. Ihr Bild besteht aus mehreren – insgesamt vier – Einzelbildern, in denen das Motiv der Anthurienblüten unterschiedlich zusammengesetzt und gegliedert ist. Es stellen sich Effekte von Wiederholung und Spiegelung ein, teilweise invertiert, wodurch der kompositorische Gesamtzusammenhang des Bildes in dynamische Spannung versetzt wird. Die Komposition insgesamt hat keine Mitte und keine hierarchische Einteilung. Es bleibt unklar, ob es sich nur um verschiedene Blüten handelt oder ob teilweise dieselbe Blüte mehrfach zu sehen ist. Diese produktive Verunklärung trägt dazu bei, das Bild gleichzeitig abstrakter und wirklicher zu machen und damit seine Präsenz zu steigern.
Blumen haben Maler schon seit sehr langer Zeit als geeignet Metaphern zur Veranschaulichung der Paradoxien von Momenthaftigkeit und Dauer gedient, und auch Andrea Küsters Blumenbilder lassen sich in diese Tradition einreihen. Gemalte Blüten welken nicht.
In der Malerei von Andrea Küster lassen sich jedoch noch weitere Verästelungen finden. Sie hat viele ihrer früheren Bilder und Zeichnungen zu Bestandteilen neuer Collagen gemacht und unterstreicht damit zum einen ihre fortwährende künstlerische Distanzierung vom Urmotiv, ohne diesen Bezug jedoch völlig zu negieren. Ihr malerisches Verfahren ignoriert den saisonal bestimmten Verlauf von Blühen und Vergehen, aber das unterscheidet sich ja nicht von der Verfügbarkeit blühender Pflanzen in unserer Zeit dank einer Pflanzenindustrie, die ihre Fertigung in aller Welt sowie durch künstlich erzeugte Jahreszeiten in Gewächshauskulturen stets gleichbleibend gewährleistet. Mit ihrem eigenen Material geht Andrea Küster genauso um, es ist immer verfügbar und lässt sich in neue Zusammenhänge bringen, auch weil ihre nahsichtig wiedergegebenen Blüten frisch bleiben, gleich wie alt sie sind. In einigen Bildern wie der großformatigen Arbeit „Lilie / Papier“ von 2016 stellt Andrea Küster auch Blumen in Vasen vor Augen und verweist auf die zivilisatorische Tätigkeit der Präsentation von Blumen.
Der Naturbezug von Andrea Küsters Gemälden ist mehrschichtig, ihre Werke sind keinesfalls herkömmliche Stillleben und auch keine exakt historisch oder kulturell determinierbaren Gegenstände. Ihre Blumen sind so weit verallgemeinert, dass ihre Wirkung vollständig im Hier und Jetzt aufgeht – jedes Mal, ob vor zehn Jahren, heute oder in zehn Jahren.
In der Geschichte der Malerei gibt es Vorläufer. So hat seit Mitte der 1910er-Jahre die amerikanische Malerin Georgia O’Keeffe unter dem Eindruck der Fotografien von Paul Strand Blumen in extremer Nahsicht und aus ungewöhnlichen Perspektiven gemalt, wobei sie meist eine einzelne Blüte oder zwei in Augenschein nahm und diese in ihrem Bild monumentalisierte. In den Bildern von Andrea Küster bilden Blüten einen motivischen Ausgangspunkt, der durch vielfältige Verfahren der Spiegelung, Umkehrung und Wiederholung zugleich betont und auf inhaltlicher Ebene relativiert wird. In der Malerei von Georgia O’Keeffe wurde die Ikonografie der Blumen schon von dem Fotografen Alfred Stieglitz, ihrem Mentor und Lebensgefährten, als Sinnbild weiblicher Ästhetik propagiert, was jedoch längst als Klischee männlichen Blicks entlarvt wurde. Festzuhalten bleibt allerdings in jedem Fall der Unterschied der inhaltlichen Relevanz des Motivs bei O’Keeffe und Küster.
Abzusetzen ist Andrea Küsters Bildvorstellung auch von den großformatigen Bildern eines Alex Katz, der in einer Umdeutung des Pollock’schen All Over seine Bildkomposition auf stark reduzierte Motive gründet, die er in einer exakt geplanten Choreographie in einem Zug im großen Format malt, wobei u. a. auch Blumenbilder entstehen. Die Gemälde von Andrea Küster besitzen wie jene von Alex Katz eine Affinität zur Vorstellung eines unhierarchischen All Over, allerdings ist dies anders als bei Katz im Falle von Andrea Küster nicht auf einem zusammenhängenden visuellen Eindruck gegründet, sondern synthetisch aus einer Vielzahl von Einzelaspekten zusammengesetzt und außerdem wesentlich von einer räumlichen Wirkung bestimmt, die ihre Bilder prinzipiell von Katz trennt.
Andrea Küsters Blumenbilder sind ein einzigartiger Beitrag zur Tradition der Blumenmalerei.
Kay Heymer